Das Recht zum Überbau einer Wärmedämmung gilt nicht für Neubauten

Bundesgerichtshof schränkt nachbarrechtliches Dämmrecht ein

Der Fall:
Die Giebelwände zweier benachbarter Reihenhäuser, die auf zwei verschiedenen Grundstücken stehen, decken sich nicht vollständig. Der Eigentümer, in dessen Eigentum eine nicht gedämmte Giebelwand steht, möchte auf hierauf Dämmmaterial, Putz und Anstrich anbringen, was zu einem Überbau über die Grundstücksgrenze führen würde.

Das Problem:
Nach § 16a Abs. 1 NachbG Berlin muss der Eigentümer eines Grundstücks die Überbauung seines Grundstücks für Zwecke der Wärmedämmung dulden, wenn das zu dämmende Gebäude auf dem Nachbargrundstück bereits besteht. Der betroffene Nachbar wandte jedoch zum einen ein, dass die Vorschrift verfassungswidrig sei und zum anderen dann nicht gelte, wenn das benachbarte Gebäude neu errichtet werde.

Das Urteil:
Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass der Nachbar keinen Überbau durch die Wärmedämmung dulden müsse. Es sei bereits fraglich, ob § 16a NachbG Bln verfassungsgemäß sei. Bedenken bestünden zunächst hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin. Für das bürgerliche Recht besteht die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG); für eine Gesetzgebung der Länder sei daher nur Raum, solange und soweit der Bund die Materie nicht erschöpfend geregelt hat. Ob sich insbesondere aus Art. 124 EGBGB ergibt, dass die Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Überbaus in § 912 BGB erschöpfend geregelt worden sind, sei streitig. In materieller Hinsicht sei ferner zweifelhaft, ob der Berliner Landesgesetzgeber die grundrechtlich geschützten Interessen des von dem Überbau betroffenen Nachbarn ausreichend berücksichtigt hat; Einschränkungen der Duldungspflicht, wie sie etwa § 7c NRG BW, § 23a NachbG NRW oder § 10a NachbG HE enthalten, seien in § 16a NachBG Bln nämlich nicht aufgenommen worden. Dies könne jedoch insgesamt offen bleiben, da bereits die Voraussetzungen der Vorschrift nicht vorliegen würden.
Denn danach hat der Eigentümer eines Grundstücks die Überbauung seines Grundstücks für Zwecke der Wärmedämmung nur zu dulden, "wenn das zu dämmende Gebäude auf dem Nachbargrundstück bereits besteht". Hieran fehle es. Bei dem Nachbarhaus handele es sich nicht um ein bestehendes Gebäude im Sinne dieser Vorschrift. Entscheidend sei, ob sich die Wärmedämmung als nachträgliche Sanierungsmaßnahme darstelle. Die Duldungspflicht nach § 16a Abs. 1 NachbG Bln gelte nicht für eine die Grundstücksgrenze überschreitende Wärmedämmung einer Grenzwand, mit der der benachbarte Grundstückseigentümer erstmals die Anforderungen der bereits bei der Errichtung des Gebäudes bereits geltenden Energieeinsparverordnung (EnEV) erfüllte. Dies ergebe sich aber aus der gebotenen Auslegung der Vorschrift nach deren Sinn und Zweck. Der Landesgesetzgeber wollte Grundstückseigentümern nicht generell gestatten, eine Wärmedämmung grenzüberschreitend, also im Wege des Überbaus, anzubringen. Er verfolgte vielmehr das Ziel, energetische Sanierungen von Altbauten zu erleichtern. Diese wurden bei Gebäuden, die auf der Grundstücksgrenze stehen, häufig dadurch erschwert, dass der Nachbar die notwendige Zustimmung zu dem durch die Verkleidung der Grenzwand mit einem Wärmeverbundsystem entstehenden Überbau verweigerte oder von unverhältnismäßigen finanziellen Forderungen abhängig machte. Dem sollte durch die Einführung einer Duldungspflicht begegnet werden. Anders als für den Altbaubestand hat der Landesgesetzgeber für die Wärmedämmung von Neubauten jedoch kein Regelungsbedürfnis gesehen. Er hat im Gegenteil ausgeführt, dass die Duldungsverpflichtung nur bei Bestandsbauten und nicht bei Neubauten gilt, weil den Wärmeschutzanforderungen durch eine entsprechende Planung Rechnung getragen werden kann. Für Neubauten bleibe es somit bei dem Grundsatz, dass sie so zu planen sind, dass sich die Wärmedämmung in den Grenzen des eigenen Grundstücks befinde.

Das sagt Haus & Grund Bonn/Rhein-Sieg dazu:
Auch in Nordrhein-Westfalen gilt nach § 23a NachbG NRW ein Überbaurecht für Wärmedämmmaßnahmen, so dass die einschränkende Auslegung sinngemäß auch für Neubauten in NRW gilt.


BGH, Urteil vom 2.6.2017, AZ: V ZR 196/16

Amtlicher Leitsatz:
"a) Die Duldungspflicht nach § 16a Abs. 1 NachbG Bln gilt nicht für eine die Grundstücksgrenze überschreitende Wärmedämmung einer Grenzwand, mit der der benachbarte Grundstückseigentümer erstmals die Anforderungen der bei der Errichtung des Gebäudes bereits geltenden Energieeinsparverordnung (hier: EnEV 2001) erfüllt.
b) Es bleibt offen, ob § 16a Abs. 1 NachbG Bln verfassungsgemäß ist."